Überarbeiten mit Lektorenattitüde (1)

Endlich! Sie haben Ihren Text beendet und legen das Werk stolz beiseite. Wie wärs mit einem Sekt? Aber nur einem kleinen, denn die Arbeit ist ja nicht fertig, das Schlimmste wartet noch: überarbeiten.


Vorweg sei betont, dass Sie Ihren Text wirklich ÜBERARBEITEN und nicht etwa LEKTORIEREN. Das können Sie nämlich gar nicht. Zum Lektorieren gehört immer der Blick von außen, die kritische, an der Entstehung Ihres Werks unbeteiligte Instanz. Und die verlangt Geld. Wie viel, das hängt entscheidend von der Qualität des Produktes ab, das Sie ins Lektorat geben. Ein solider Lektor wird seine Seiten- oder Stundenpreise stets staffeln, denn es ist ein Unterschied, ob ich mir den Text eines erfahrenen und stilsicheren Autors vornehme oder das Werk eines Schreibneulings bearbeite. Je genauer also die Überarbeitung, desto geringer die Kosten. Das leuchtet ein.
Wenn Sie Ihren Text überarbeiten, lektorieren Sie ihn also nicht, aber es empfiehlt sich, methodisch wie ein Lektor vorzugehen. Und der arbeitet gewöhnlich in zwei Durchgängen. Im ersten stehen stilistische Feinheiten im Vordergrund, was man an Rechtschreibfehlern erkennt, wird eliminiert, ebenso Anschluss- und Logikschwächen. Ein Lektor lernt einen Text nach und nach kennen, da sind Sie, Schöpfer oder Schöpferin, ihm ein Stück voraus, was aber – Stichwort Betriebsblindheit – schnell zum Nachteil werden kann.
Bevor Sie jedoch stilistische Mängel ausmerzen können, müssen Sie zunächst einmal wissen, wie dieser »Stil« eigentlich aussehen soll. Wie vor einigen Tagen erläutert, ist der »Sound« eines Textes hochindividuell. Was aber nicht bedeutet, dass es keine objektiven Maßstäbe gäbe. »Peter sein Vater« geht gar nicht, es sei denn in wörtlicher Rede oder von einem Ich-Erzähler formuliert, zu dessen Eigenschaften dieses Sprachniveau gehört. Überhaupt lassen wir die wörtliche Rede vorerst außen vor, sie ist sowieso ein Spezialfall.
Der nach meiner Erfahrung beliebteste Stilistikfehler besteht in der ausufernden Verwendung von Possessivpronomen. »Ich fuhr mit meiner rechten Hand durch meine Haare« lässt die berechtigte Frage aufkommen, ob man sich auch mit einer anderen Hand als der eigenen durch die Haare fahren kann. Man kann mit der Hand auch durch die Haare eines anderen fahren und dann wäre ein »seine« angemessen. Wer sich aber selbst durch die Haare fährt, muss im Normalfall nicht extra darauf hinweisen.
Ein zweiter Großfehler betrifft Floskeln, die man im Alltagsleben zwar gerne verwendet, die in einem literarischen Werk jedoch nichts zu suchen haben. Sie »ballen Ihre Hände zu Fäusten«? Schön. Zu was kann man Hände eigentlich noch ballen? Genau. Lassen Sie also die Finger von den Fäusten.
Es liegt in der Natur solcher Fehler, dass man sie mit etwas logischem Nachdenken selbst leicht herausfinden kann. Hat man erst einmal Übung, funktioniert das gut. Lesen Sie Ihren Text kritisch Satz für Satz und stellen Sie vor allem gebräuchliche Redewendungen und Ausdrücke auf den Prüfstand. Sind die drei Euro, die Sie jeden Morgen für die Fahrt zur Arbeit abdrücken, wirklich »Unkosten« oder einfach nur »Ausgaben«. Die Vorsilbe -un bedeutet u.a. »unvorgesehen, nicht abzuschätzen«, Unkosten sind also keine Kosten, die erwartungsgemäß auf Sie zukommen. Sie sagen ja auch nicht »Heute herrscht ruhiges Unwetter«, wenn Sie »Wetter« meinen und befriedigt mit dem Kopf nicken. Aber nicken Sie wirklich mit etwas anderem als dem Kopf? Heult, wer bitterlicher weint, tatsächlich »wie ein Schlosshund« – oder ist mit diesem Heulen etwas ganz anderes gemeint?
Überhaupt: Vergleiche. Ich habe nichts gegen Vergleiche, ganz im Gegenteil. Aber sie sollten weder schief noch platt sein. »Seine Ohren wackelten wie ein alter Stuhl.« sorgt höchstens für ein bedenkliches Kopfwackeln beim Leser. »Sie strahlte wie die Sonne am Himmel« ist erstens weitverbreiteter Kitsch und wirft zweitens die Frage auf, wo denn die Sonne sonst noch scheint, außer am Himmel.
Ein Kapitel für sich sind die Füllwörter. Füllworter? Was ist das? So etwas Ähnliches wie Substantive oder Verben oder Adjektive, also genau abgezirkelte Wortarten? Nein. Füllwörter sind Wörter, die da, wo sie gebraucht werden, nicht hingehören, überflüssig sind. Was in einen Text nicht hineingehört, hängt aber immer von diesem Text selbst ab, nicht von der Phantasie eines gelangweilten Schreibratgeberschreibers, der unbedingt noch ein paar Buchseiten füllen muss. Dennoch gibt es Wörter, die da, wo sie stehen, besser nicht stünden, weil sie Redundanz erzeugen, also einen Umstand gleich doppelt und dreifach benennen, oder eine Formulierung dort verkomplizieren und verwässern, wo sprachlich klare Kante angesagt wäre. »Er schickte sich an, das Haus zu verlassen« klingt als »Er verließ das Haus« meistens besser. Und wer »glaubt, dass es zu regnen scheint«, sollte das Haus besser gar nicht erst verlassen.
Zum Beschluss dieses ersten Teils noch ein Wort zu Dialogen. Mein Gott, Dialoge! Die allergrößte Kunst (ausgenommen Sexszenen, die sind noch größer, die sind allergrößtens! Ja, in diesem Fall dürfen sie auch »allergrößte« schreiben, weil es die Großheit noch betont …). In Dialogen unterhalten sich Menschen so, wie sie nun einmal sind. Die wenigsten Ihrer Figuren sind Deutschlehrer oder feingeistige Literaten, sie sind gewöhnliche Leute jeden Alters und jeder Bildungsstufe – und genau so sollten sie auch reden. Vieles von dem, was man sagt, sagt man in Ellipsen, also unvollständigen Sätzen, niemand ordert beim Kneipenwirt mit »Ich möchte gerne ein Bier trinken« das entsprechende Getränk, »ein Bier, bitte« sollte auch genügen. Und wer wirklich lernen will, wie man Dialoge schreibt, muss unbedingt einen Krimi von George V. Higgins lesen, vielleicht »Die Freunde von Eddie Doyle«, auch wenn man so gar kein Krimifan ist. Vielleicht kann man die Buchkosten ja als Weiterbildungsausgaben beim Finanzamt geltend machen.
Überhaupt: lernen. Jedes Überarbeiten Ihres Textes sollte immer ein Lernprozess sein. Auch wenn Sie spontan davon überzeugt sind, es heiße »Spontanität«, lohnt sich ein Blick in den Duden, um sie vielleicht davon zu überzeugen, dass es bis vor ein paar Jahren noch »Spontaneität« hieß und jede andere Schreibweise ein Fehler war. Und nein, die Kommaregeln sind gar kein Buch mit sieben Siegeln und außerdem dürfen sie genau dann dagegen verstoßen, wenn sie Kommas (meinetwegen auch Kommata) zur rhythmischen Gliederung Ihres Textes undudisch hinzufügen oder weglassen. Aber auch das vorher genau überlegen.
Sie sehen, dieser erste Durchgang des Überarbeitens ist kleinteilig, langwierig, frustrierend.  Aber er nützt nicht nur dem Text, sondern auch Ihrem Sprachempfinden, er trainiert die Aufmerksamkeit, die Sie Ihrem wichtigsten Werkzeug widmen sollten, das Gelernte ist das Kapital, das Sie nach und nach in redlicher Arbeit anhäufen, um immer bessere Texte als Zinsen zu ernten. Betrachten Sie jeden Satz Ihres Textes kritisch, stellen Sie ihm unbequeme Fragen – »Bist du wirklich so vollkommen, wie du vorgibst?« – und hören Sie irgendwann damit auf. Übergeben Sie das Manuskript Ihrem Lektor. Der freut sich nämlich auch, wenn er seinen Rotstift zücken darf.
In der nächsten Woche ein paar Worte zum zweiten Überarbeitungsdurchgang.

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    1. Mal wieder: Übers Überarbeiten | Wortringer

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