Klaus Scharfenstein: Von den Wahnsinnigkeiten

vodewa_cover-buchformatEin deutscher Geschäftsreisender – Timm Faerb, 54 Jahre – begreift seine Entsendung nach Tansania als Höhepunkt einer von seinen Vorgesetzten gegen ihn betriebenen Mobbing-Kampagne und muss daraufhin vor Ort eine psychische und physische Existenzkrise durchstehen, bevor er mit neuen Vorsätzen im Gepäck nach Deutschland zurückkehrt.

Zur Leseprobe: Letztlich erwartungsgemäß ist Ich-Erzähler Timm mit der Mission seiner Geschäftsreise in die tansanische Metropole Dar es Salaam gerade zuvor komplett gescheitert. Demoralisiert, wenn auch nicht ohne Trotz, hat er sich für die bis zur Rückreise verbleibenden Tage in eine entlegene Strandunterkunft am Indischen Ozean zurückgezogen. Hier hadert er ausgiebig mit Gott und der Welt, was ihn allerdings nicht davor bewahrt, einer jungen, afrikanischen Schönheit zu verfallen.

Leseprobe:

In der verhältnismäßig frischen Morgenluft ein wenig schlotternd, habe ich dem gemächlichen Sonnenaufgang über dem weit im Osten liegenden Horizont des Meeres zugesehen. Viel zu früh wach geworden und dann aber rechtzeitig auf dem direkt vorn am Strand liegenden Baumstamm sitzend, habe ich die der Erdrotation geschuldete Veränderung meiner Position in Bezug auf die Sonne solange verfolgt, bis sich deren imposante Scheibe in voller Gänze über die Kimm erhoben hat.

Wie ein eingebranntes Negativbild schwingt die augenoptische Nachwirkung jenes Spektakels noch vor mir hin und her, während ich meine Joggingstrecke in Angriff nehme. Ich laufe entschlossener als gestern, kaltblütiger sozusagen. Es dürfte noch vor sieben Uhr sein, und die mit dieser unchristlichen Tageszeit verbundene Stimmung des nicht-freiwilligen sondern gewissermaßen berufsmäßigen Unterwegsseins hat einen anregenden Einfluss auf mein Lauftempo. Ich renne an den Hütten des rosa Mädchens vorbei – erneut erleichtert darüber, dass sich dort nichts rührt.

Anders auf dem Rückweg. Die beiden Kinder stehen schon bereit dafür, sich mit mir zu befassen, als ich wieder auf den Abschnitt bei ihren Hütten zutrabe. Sie holen mich ein und laufen neben mir her, wortlos, grußlos, ihre Tätigkeit stumm ausführend wie zwei düstere Delfine, die ein Containerschiff auf Höhe seines Bugs schwimmend begleiten. Es verursacht mir einen Kloß im Hals, dieses lautlose, kalte und unpersönliche Formationslaufen, so dass ich froh bin, als die beiden zurückbleiben, sobald die Bandas in Sicht kommen.

Ich schwimme, genieße mein Nacktsein und das zuverlässige Geborgensein in diesem Ozean, meine wohlig zunehmende Erschöpfung. Während ich auf meine Hütte zuwanke, sehe ich aus den Augenwinkeln, wie Rose gerade im Laden verschwindet. Was einigermaßen verführerische Gedanken an ein mir womöglich erneut winkendes Frühstück zur Folge hat.

Ich stehe unter der Dusche, um das Salzwasser abzubrausen, und bereue es bald. Die Hände auf dem Rücken gekreuzt, lässt mich das warme Wasser – üppig auf meinen Schädel, meinen Nacken, meine Schultern prasselnd – leichtsinnigerweise ein wenig den Kopf heben. Für einen kurzen, unguten Moment strömen die Wassermassen auf so spezielle Art und Weise über mein Gesicht, über den Mund und schließlich aufgrund einer perfiden Strudelbildung sogar ein ekeliges Stück weit meine Nasenhöhlen hinauf, dass ich sofort die Luft anhalten muss – und mich so etwas wie ein Waterboarding-Flash durchzuckt.

Was, wenn nicht ich selbst durch kurze Drehung meines Kopfes sowohl Mund als auch Nase unverzüglich wieder wasserfreien Atemluftbereichen zuwenden könnte, weil vielleicht auf einer Liege bombenfest fixiert?! Was, wenn nicht nur meine fixierte Lage sondern vor allem die Intensität wie auch die Ausrichtung des Wasserstrahls sich vollständig unter Kontrolle eines komplett Fremden befänden, der mir obendrein nicht im geringsten wohlgesonnen ist?! Traumatisiert und nur matte Erleichterung empfindend bewege ich meinen Kopf schließlich aus dem schrecklichen Bereich heraus und atme tief.

Mich wackelig abtrocknend, bin ich lediglich tumber Zeuge davon, wie meine hilflose, klägliche, unwürdige, absolut unmenschliche Duschopfer-Agonie sich in blanke Mordlust verwandelt. Ich realisiere es wie nur irgendwas: Sollte mich irgendjemand, warum auch immer, einer Waterboarding-Prozedur unterziehen, so würde derjenige damit automatisch sein Todesurteil besiegeln – für den Fall zumindest, dass ich jemals wieder meine Freiheit erlangen sollte. Dann nämlich würde der verbleibende Rest meines Daseins unabwendbar der zeitnahen Beendigung des seinen gewidmet sein.

Ich knirsche mit den Zähnen, es brummt dramatisch und wie durch Resonanzschübe verstärkt in meinen Ohren. Ich fasse zwei-, dreimal instinktiv mit meiner sich gummiartig gebärdenden Rechten an die glitschige Wand des Badezimmers, ahne es mehr als dass ich es höre, wie Rose vor der Hütte unsicher hin- und her schleicht und summt und ein lautloses Tablett auf dem Tisch absetzt, und entgehe wohl einem Zusammenklappen schließlich nur deshalb, weil sich das massive Dröhnen in meinem Kopf zeitgleich mit dem Ausschalten eines Automotors vorn auf dem Gästeparkplatz gnädigerweise auf eine hinnehmbare Lautstärke reduziert.

Kurz danach bestaune ich blinzelnd das auf dem Tisch auf meiner Veranda arrangierte, solide Früh­stück und bin erleichtert, dass Rose bereits gegangen ist. Ich bedauere es, sie nicht sprechen und ansehen und stumm sein hören und kein neues Suaheliwort von ihr lernen und nicht den sterilen Duft ihrer gestärkten Maid-Uniform riechen zu können – und bin dennoch froh, für mich zu sein.

Genre: Gegenwartsroman

Status: veröffentlicht

 

5 Kommentare

  1. Dieter Paul Rudolph

    Auf manche Texte muss man sich stilistisch einlassen wollen. Nach den ersten Sätzen fallen mir zwei Dinge auf: Der Autor mag Adjektive und leicht kantige Beschreibungen, »Wie ein eingebranntes Negativbild schwingt die augenoptische Nachwirkung jenes Spektakels noch vor mir hin und her« ist nur eine davon. Das klingt nach Manierismus und Verschwurbeltheit, ist aber zunächst nur eine neutrale Feststellung. Wie im Text von Elsa Rieger zählt auch hier der »Sound« und die Absicht, die dahintersteckt. Was erzählt mir der Satzbau über den Ich-Erzähler? Er ist, keine Frage, ein verquerer Mensch, umständlich und gleichzeitig doch sehr präzise. Jemand, der sich unter Kontrolle hat und dann doch wieder nicht.
    Nein, muss man nicht mögen. »Flüssig« nämlich liest sich das nicht, die Sache mit dem Water-Boarding musste ich noch einmal lesen, aber auch das ist keine Frage von »gut« oder »schlecht«.
    Dennoch gibt es in diesem Text eine latente Gefahr: die des Übertreibens. »… die mit dieser unchristlichen Tageszeit verbundene Stimmung des nicht-freiwilligen sondern gewissermaßen berufsmäßigen Unterwegsseins hat einen anregenden Einfluss auf mein Lauftempo« : Das ist so ein Satz, der ein wenig über die stilistische Kante schwappt, »gewissermaßen berufmäßig«, das zerrt den Ich-Erzähler ein wenig ins Lächerliche, wo er wohl nicht hingehört. Schön finde ich hingegen »das lautlose Tablett«, das eben nicht das Tablett ist, das lautlos abgesetzt wird.
    Insgesamt ein Text, an dem sich die Geister scheiden werden und dessen Gelungensein davon abhängt, wie die Balance zwischen »charakteristisch« und »manieriert« gewahrt wird.

  2. Der Textausschnitt gefällt mir gut udn auch die Story an sich finde ich interessant. Der Autor bewegt sich sprachlich schon auf einem hohen Niveau.
    Ich frage mich trotzdem, ob der Text nicht an Deutlichkeit und Schärfe gewinnt, wenn man die vielen Partizipien wegnimmt und auch diese Vorvergangenheit weglässt. Sie verhindert leider, dass man in einen Lesefluss kommt. Man stockt immer wieder und muss zurück denken, bzw. sich selbst eine Reihenfolge basteln, nach der die Handlung abgelaufen ist. Besonders am Anfang, als der Erzähler den Sonnenaufgang beschreibt.
    Das Waterboarding unter der Dusche konnte ich nicht so ganz nachvollziehen. Und dass man nur durchs Duschen traumatisiert wird, glaube ich nicht. Es sei denn, es weckt Erinnerungen an ein tatsächlich passiertes Waterboarding.
    Oder der Autor möchte den Erzähler als „leicht hysterisch“ oder „nicht so ganz glaubwürdig“ darstellen. So dass man sich im Laufe der Geschichte fragt: Was passiert wirklich? Ist es so, wie der Ich-Erzähler es schildert, oder ist seine Sichtweise verzerrt?
    Das wäre natürlich raffiniert, da man als Leser in einen Zwiespalt käme und nicht eindeutig wüsste, was passiert.
    Gut gefallen hat mir das Bild der Delfine neben dem behäbigen Containerschiff. Aber warum sind sie düster?
    Der Erzähler scheint ein sperriger, vielleicht sogar unflexibler Charakter. Die sich anbahnende Affäre mit der jungen Rose wird ihn schon in Bewegung bringen, was ich durchaus spannend und interessant finde.

  3. Vielen Dank für die Kommentare!

    Ich muss zunächst eine »technische« Anmerkung machen. Ein klitzekleines Missverständnis meinerseits nämlich hatte mich eine Leseprobe uploaden lassen, die von ihrer Textmenge her viel zu umfangreich war, um hier komplett präsentiert werden zu können. Als Folge davon ist nun lediglich ihr erstes Viertel in der »Werkstadt« zu sehen. Es ist quasi eine technisch bedingte Leseprobe der Leseprobe …

    Für den Fall, dass irgendjemand nun tatsächlich den kompletten Leseprobe-Auszug aus den »Wahnsinnigkeiten« lesen möchte, so wäre der hier in Form eines PDFs verfügbar:

    http://www.manscha.de/Wahnsinnigkeiten/leseprobe_dpr_werkstadt.pdf

  4. Der Text wirkt wie eine Mischung aus einem Reisebericht und einem inneren Monolog und ist von daher ungewöhnlich für moderne Gegenwartsliteratur. Auch der Satzbau sowie die vielen Bilder erinnern an Texte, die zeitlich ziemlich weit zurückliegen. Die Satzlänge ist – ich nehme an bewusst – anders als in „modernen“ Texten. Als Leser muss man aufpassen, um nicht in dieser Fülle zu versinken und den Handlungsstrang zu verlieren. Das wäre aus meiner Sicht ein Punkt, der etwas überarbeitet werden könnte. Ansonsten gefühlt ein Text, für den man sich Zeit beim Lesen nehmen muss. Ganz sicher nicht für jeden zugänglich.

  5. So, ein Kurz-Feedback …

    ➦ Dieter Paul

    Im Grunde möchte ich den Ich-Erzähler wohl in alles Mögliche hineinzerren, also auch ins Lächerliche. Ich will die Leser durchaus ein Stück weit auf die Seite der Widersacher Timms ziehen – und sie so seinen Fatalismus bestärken lassen 😉

    ➦ Liv

    Gutes Auge! Man wird sich tatsächlich im Laufe der Geschichte fragen, »Was passiert wirklich? Ist es so, wie der Ich-Erzähler es schildert, oder ist seine Sichtweise verzerrt?«.

    Allerdings nein, es ist nicht Rose, die ihn bezaubern wird.

    ➦ Ryek

    Herzlichen Dank für den Kategorie-Vorschlag: Mischung aus Reisebericht und innerem Monolog! Passt sehr gut, finde ich – werde ich übernehmen. Bei Amazon übrigens läuft es unter Liebesromane …

    Und ja, das Ganze ist bestimmt nicht für jeden zugänglich, was – das ist hoffentlich offensichtlich – bewusst in Kauf genommen worden ist. Ich habe versucht, »frei Schnauze« zu schreiben, und das im Zweifelsfall durchaus rücksichtslos gegenüber dem Leser, dem Ich-Erzähler oder letztlich mir selbst.

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